Zeit-Interview mit MP Kretschmann – Der Staat macht keinen schwul – von Mariam Lau
Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs Ministerpräsident, stellt sich den ‚Geschlechterfragen und dem Protest gegen neue Pläne in der Sexualerziehung‘
DIE ZEIT: Herr Ministerpräsident, warum soll ein Fünftklässler in Baden-Württemberg wissen, was Transgender und Intersexuelle sind?
Winfried Kretschmann: Weil „schwule Sau“ auf dem Schulhof eines der beliebtesten Schimpfwörter geworden ist. Ich war selbst Lehrer und weiß: Niemand kann so hart und brutal wie Kinder sein, wenn jemand irgendwie „anders gestrickt“ ist. […] Wir können aber nicht zusehen, wie jemand diskriminiert wird.
ZEIT: Gegen die Bildungspläne Ihrer Regierung macht eine Gruppe von Bürgern mobil, die Angst hat, Kinder sollten künftig an Schulen zur Homosexualität erzogen werden. Muss der Staat das ernst nehmen, […] ?
Kretschmann: Ängste muss man immer ernst nehmen. Und ich werde auch das Gespräch mit ihnen suchen. Ihre Ängste sind allerdings unberechtigt. Der Staat wird niemanden zur Homosexualität erziehen.
ZEIT: Sie waren selbst Biologielehrer. Wie haben Sie die Kinder aufgeklärt?
Kretschmann: Ich habe immer sehr darauf geachtet, das mit den Eltern vorzubereiten. Und ich habe Kollegen anderer Fächer miteinbezogen, denn wir reden hier nicht nur von biologischer Aufklärung. Da werden auch gesellschaftliche, ethische Fragen tangiert. Dann habe ich die Fragestunden mit den Mädchen und Jungen getrennt durchgeführt, weil die sonst nicht frei sind, zu fragen, was sie wirklich wissen wollen. Da kommen immer sehr viele Fragen, über die sich Eltern erschrecken würden.
ZEIT: Zum Beispiel?
Kretschmann: Ja, alles, was Kinder so aufschnappen und Jugendliche so mitbekommen: Heute mit dem Zugang zum Internet dürfte da nichts mehr fehlen. 90 Prozent der Jungen haben schon Pornos angeschaut. In so einer „Umwelt“ ist eine altersgemäße Aufklärung so wichtig wie schwierig.
ZEIT: Nehmen wir den Kindern aus Angst vor Pädophilie immer mehr die Unbefangenheit in Sachen Sex?
Kretschmann: Da es in Sachen Sex auch Kindesmissbrauch gibt, kann es die Unbefangenheit nicht geben, wir müssen Kinder auf die reale Welt vorbereiten. […]
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