Eignung zum Volksvertreter? – Max Weber mal populär exzerpiert
Deutschland im Protest-Herbst 2010, Stuttgart 21 als Bewegung mit bislang ungeahnter Breitenwirkung, Hartz IV und Gesundheitsreform als Dauerthemen in Politik-Talks, das Bürgertum in Rebellion gegen ihre Energieversorger… Gewählte Volksvertreter, Lobbyisten, Konzern-Manager mit Millionen-Gehältern und Bank-Vorstände, deren fatales Controlling nur mit Staats-Bürgschaften zu retten ist.
Zu „Geistige Arbeit als Beruf“ hielt Maximilian Carl Emil Weber, 1864 – 1920, im Revolutionswinter 1918/19 einen Vortrag, der bis heute die politische Kultur und die Sozialwissenschaften bestimmen kann.
Der deutscher Soziologe, Jurist und Nationalökonom gilt als einer der Klassiker der Soziologie, dessen Gedankengut „interdisziplinär […] über Kontinente hinweg und quer zu verschiedenen politischen und wissenschaftstheoretischen Lagern anerkannt […]“ ist.
Seine Theorien und Definitionen hatten und haben großen Einfluss auf die Speziellen Soziologien, besondere auf die Kriterien zu Wirtschaft, Herrschaft und Religion. Webers Prinzip der Wertneutralität zählt bis heute zur wissenschaftstheoretische Grundbildung.
Leidenschaft und Sachlichkeit
Nach Weber sind drei Qualitäten entscheidend für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß.
Bei diesen Ansprüchen ist für die Leidenschaft der Sinn von Sachlichkeit als leidenschaftliche Hingabe zu sehen, nicht aber als die „ins Leere verlaufende Romantik des intellektuell Interessanten“, bei der das sachliche Verantwortungsgefühl fehlt.
Bloße Leidenschaft reicht also nicht zum Politiker, denn als Dienst an einer Sache muss sie auch die Verantwortlichkeit für diese Sache zum „entscheidenden Leit-Stern des Handelns machen“.
Nur wer glaubt, so handeln zu können, hat die entscheidende psychologische Qualität des Politikers: Augenmaß und die Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Ohne Distanz zu den Dingen und Menschen wird das Tun und Handeln aber zu einer „der Todsünden jedes Politikers und eine jener Qualitäten, deren Züchtung bei dem Nachwuchs unserer Intellektuellen sie zu politischer Unfähigkeit verurteilen wird“. Wie aber können heiße Leidenschaft mit kühlem Augenmaß in derselben Seele gepaart?
Wenn Politik mit dem Kopfe gemacht wird, kann die Hingabe an sie jedoch nur „aus Leidenschaft geboren und gespeist werden“, und kann menschlich echtes Handel n nur dann sein, wenn es nicht ein frivoles intellektuelles Spiel ist.
Zeichnet sich der leidenschaftliche Politiker dadurch aus, dass er sich vom bloßen „steril aufgeregten politischen Dilettanten“ unterscheidet, weil er seine Seele bändigt, ist eine solche Kompetenz nur dadurch möglich, dass man sich an Distanz gewöhnt.
Weber: „Die Stärke einer politischen Persönlichkeit bedeutet in allererster Linie den Besitz dieser Qualitäten.
Demnach wird die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller sachlichen Hingabe und aller Distanz, zum trivialen, allzu menschlichen Feind des Politikers, der stündlich die Distanz zu sich selbst zu überwinden hat.
Mediale Präsenz und Eitelkeit
Die mediale Präsenz der kleinen und großen Politik bewiest: Eitelkeit ist eine sehr verbreitete Eigenschaft, vor der kaum jemand völlig frei ist.
Wer akademisch arbeitet, lehrt und regiert, zeigt Eitelkeit oft wie eine Berufskrankheit.
Was akademisch noch harmlos sein mag, ist ganz anders beim Politiker.
Arbeitet dieser doch mit dem Streben nach Macht, beweist den zugehörigen „Machtinstinkt“, was als dessen normale Qualität gilt.
Wo aber Machtstreben unsachlich und der rein persönlichen Selbstberauschung wird, anstatt ausschließlich in den Dienst der Sache zu treten, beginnt die „Sünde gegen den heiligen Geist seines Berufs“.
Nach Max Weber gibt es nur […] zwei Arten von Todsünden auf dem Gebiet der Politik: Unsachlichkeit und – oft, aber nicht immer, damit identisch – Verantwortungslosigkeit[…].
Es sei die Eitelkeit, als Bedürfnis, selbst möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, worin der Politiker am stärksten versucht ist, eine von beiden oder beide zu begehen.
So ist nicht erst im Herbst 2010 der Bürger, die Gesellschaft aufgefordert, den bloßen Machtpolitiker auszumachen, wie ihn inzwischen auch der eifrig betriebene mediale Kult zu verklären sucht, was zwar stets stark wirken mag, aber in der Tat ins Leere und Sinnlose wirkt. […] … […]
Exzerpiert nach: »Geistige Arbeit als Beruf«, gehalten im Revolutionswinter 1918/19 vor dem Freistudententischen Bund in München. Ausarbeitung des Verfassers auf Grund einer stenographischen Nachschrift, im Druck erschienen im Oktober 1919.
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